Was ist ein autistischer Overload?
Eines der wichtigsten Themen für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ist der Overload.
Nach den Grundlagen widmen wir uns folgenden Fragen:
- Wie verringern wir die Reizüberlastung des autistischen Gehirns?
- Was können wir tun, um einem Overload entgegen zu wirken?
- Wie verkürzen wir den Meltdown (Regenerationszeit)?
Überreizung bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung
Neurotypische Menschen haben ein gesundes Filtersystem, welches zwischen ihren Sinnesorganen und dem, was ihr Bewusstsein erreicht aussortiert. Nur was für den Träger des Gehirns relevant ist, wird durchgelassen. Bei Autisten sind diese Türsteher unterqualifiziert und kommen ihrer Aufgabe nur teilweise oder gar nicht nach.
Kinder sind von diesem Missstand besonders schwer betroffen. Sie hatten noch keine Möglichkeit, Schutzmechanismen zu erlernen, kennen ihre Grenzen nicht und haben kaum eine Möglichkeit, sich rechtzeitig zurückzuziehen.
Sobald wir das Haus verlassen, muss jeder Geruch, jede Farbe, jede Bewegung und jedes Geräusch einzeln sortiert werden. Ist es irrelevant, relevant, evtl. relevant, sehr relevant oder sogar lebensgefährlich?
Dieser viel zu bewusste Prozess ist kräftezehrend und bricht ab einem gewissen Level wegen Überlastung in sich zusammen.
Es ist, als hätte man einen Counter im Gehirn, der bei Null das System auf Standby setzt.
Inzwischen bin ich in der Lage, einige tausend Reize am Tag zu filtern, ohne das Risiko einer Überlastung einzugehen. In einem gewissen Umfang gelingt es mir sogar, meinen Counter in der Öffentlichkeit auffüllen.
Für Kinder ist es schwieriger. Sie kommen mit einem geringen Reizvolumen auf die Welt und wissen überhaupt nicht, wie sie sich schützen oder ihre Energie wieder aufladen. Die Anzeichen eines Overloads sind ihnen fremd und oftmals ist ihr Umfeld keinerlei Hilfe, sondern kostet zusätzlich Kraft.
Wenn ich bedenke, wie viel reizintensiver die Welt seit meiner Kindheit geworden ist, unvorstellbar welchem Druck die Kleinen heute ausgesetzt sind. Und dabei war ich schon damals damit überfordert, den normalen Alltag zu meistern.
Wie fühlt sich ein Overload an?
Ich greife bei folgender Schilderung auf persönliche Erfahrung zurück, beobachte in Gesprächen mit Betroffenen aber oft, dass ihr Erleben meinem ähnelt.
Ein Overload ist, wenn die Welt dich vom einen auf den anderen Moment erdrückt.
Die Geräusche bohren sich schmerzhaft in meinen Schädel. Das hupende Auto, ein schreiendes Kind, links von mir telefoniert ein Mann mit Wut verzerrter Stimme. Seine Wut kriecht an meinen Füßen hoch und schnürt mir die Kehle zu.
Die Dame vor mir hat zuviel Parfüm aufgetragen und zum Bohren im Kopf gesellt sich die Übelkeit. Kippengeruch vermischt sich mit Parfüm, Schweiß und Döner, bricht wie eine Welle über mich herein. Mühsam atme ich die Luft durch den Pullover ein und aus. Ich versuche, mich so weit weg von Menschen zu stellen wie ich kann, doch es ist zu spät.
Die Bewegungen der Welt stechen durch meine Augen hindurch in mein Gehirn. Farben werden zu leuchtenden Scheinwerfern, viel zu hell um hinzusehen. Die gelbe Regenjacke des Kleinkindes mit den roten Tupfen brennt in meinen Augen und ich spür in mir, wie der Druck höher und höher wird. Wie bei einem Dampfkochtopf, wenn der Deckel pfeift. Mein Körper fängt von innen heraus an zu beben. Das Zittern kriecht langsam von meinen Fingerspitzen über meine Arme und wenn es mein Herz erreicht, kann nur noch ein Schrei den Druck lindern.
Ich versuche, mich auszuschließen von der Welt. Will dass alles aufhört, nur die Stille mich erreicht. Ich zieh mir die Kapuze tief ins Gesicht, um nichts mehr zu sehen. Die Musik in meinen Kopfhörern stell ich auf maximale Lautstärke. Der Schmerz in den Ohren ist besser als der tosende Orkan aus Worten und Stimmen. Wenn mich jetzt niemand anspricht, überlebe ich den Moment. Dann muss ich es nur nach Hause schaffen, mich in mein Bett legen und in die Süsse des Schlafes entfliehen. Für eine sehr lange Zeit.
Aleksander Knauerhase zum Beispiel beschreibt auf seinem Blog Quergedachtes in einem Artikel die Reizwahrnehmung als „Leben in high Definition“. Wie ich finde, ein sehr lesenswerter und umfassender Beitrag zu dieser Thematik.
Auf Ellas Blog beschreibt die Mutter eines autistischen Sohnes auf empatische und bildhafte Weise, wie sie den Overload ihres Kindes erlebt, und gibt tolle Tipps weiter, die in ihrer Familie helfen.
Sie behandelt auch die Themen Meltdown und Shutdown in ihrem Artikel.
Sobald wir das Haus verlassen, muss jeder Geruch, jede Farbe, jede Bewegung und jedes Geräusch einzeln sortiert werden. Ist es irrelevant, relevant, evtl. relevant, sehr relevant oder sogar lebensgefährlich?
Dieser viel zu bewusste Prozess ist kräftezehrend und bricht ab einem gewissen Level wegen Überlastung in sich zusammen.
Kann der Autist sich in einer solchen Überreizung nicht zurückziehen um einen Overload zu vermeiden, folgt ein Meltdown und anschließend (oder direkt nach dem Overload) der Shutdown.
Meltdown
Als Meltdown bezeichnen wir die totale Eskalation des menschlichen Systems. Von außen betrachtet wirkt es, als hätte das Kind einen Tobsuchtsanfall. Es verliert völlig die Kontrolle, schreit, tritt, schlägt um sich, verletzt sich oder andere. Der Dampfkessel explodiert und der Druck entlädt sich nach außen. WICHTIG: Dein Kind hat in diesem Moment keine Chance mehr, irgendetwas willentlich zu beeinflussen. Es ist dem Geschehen genauso hilflos ausgeliefert wie du als Elternteil und ihm ist der Vorfall genau so unangenehm wie dir
Shutdown
Nach der Überladung folgt die Abschaltung. Zum Schutz vor einer Selbstzerstörung wird alles auf das Überlebensnotwendige herunter gefahren, bis der Organismus wieder genügend Kräfte verfügt, um zu funktionieren. Oftmals rollen sich Betroffene in der Embyostellung zusammen und sind praktisch nicht mehr ansprechbar. Manche sind in dieser Phase nicht einmal mehr in die Lage, ihre Ausscheidung zu kontrollieren, andere übergeben um den Magen zu entlasten. Die meisten wirken völlig apathisch, wiegen sich hin und her und sind nicht mehr ansprechbar.
Doch all dies nützt uns wenig, wenn wir keine Idee haben, wie wir dem Overload entgegenwirken.
Das Komplexe am Autismus ist, jeder Autist ist anders. Bei einem gebrochenen Arm gibt es verhältnismäßig wenig Differenzierung in der Behandlung. Je nach Bruch ist das Schema klar strukturiert. In der Autismus-Spektrum-Störung müssen wir jeden Betroffenen als Individuum betrachten und brauchen entsprechende Lösungsansätze
5 Ideen um einem Overload entgegenzuwirken:
- Vereinfache den Alltag
Gerade die Routinen zuhause sind wichtig für Autisten. Sie geben Sicherheit und verbessern die tägliche Reizverarbeitung. Baut zu euch passende Gewohnheiten auf. - Ernährung
Nahrung spielt im autistischen Leben eine tragende Rolle. Wir essen nicht nur mehrmals täglich, es trägt auch maßgeblich zu unserer Leistungskraft und Gesundheit bei. Gerade bei Kindern sind gesunde aber energiesparende Essgewohnheiten essentiell. Wenn du als Elternteil es schaffst, deinem Kind eine gesunde Routine beizubringen, gibst du ihm für den Rest seines Lebens einen Puffer mit. - Schlaf
Die Grundlage des Lebens. Ohne einen gesunden Schlaf fehlt uns am Tag die Energie, um Herausforderungen zu meistern. In dieser Zeit regeneriert unser Gehirn und der hyperaktive Verstand kommt zur Ruhe. Die Rituale vor und nach dem Schlafen sind ebenso wichtig, wie die fördernde Schlafumgebung. Zum Beispiel helfen schwere Decken beim Runterfahren und verbessern die Schlafqualität. - Autogenes Training
Es gibt Möglichkeiten, das Entspannen auf Knopfdruck zu üben. Musik ist dafür besonders geeignet und kann heutzutage überall dabei sein. Kopfhörer auf, Augen zu und der Körper fährt runter. Das Einüben dieser Entspannung ist weniger zeitintensiv, als man denkt. Bereits 10 Minuten mehrmals die Woche reichen aus, um dem Overload etwas entgegenzusetzen. - Soziale-Kompetenz
Menschen zu verstehen, ist ein Grundbedürfnis. Es sichert unseren Platz innerhalb der Gesellschaft. Autistische Kinder brauchen dabei Hilfe. Regelmäßiges reflektieren, üben und spielen der möglichen Situationen hilft ihnen dabei, diese Regeln zu erlernen und sich damit sicher und geschützt zu fühlen.